Farbatmosphären entwickeln
Ein Werkstattbericht
Was sind »Farbatmosphären«?
Farbatmosphären sind in sich stimmige gestalterische Kompositionen. Atmosphären lernen und erfahren wir zuerst in und mit der Natur. Im Gehirn, unserem Wahrnehmungsorgan, werden fortwährend alle sinnlichen Wahrnehmungen zu früher erlernten oder neuen, passenden Atmosphären zusammensetzt. Jede atmosphärische Wahrnehmung wird von unbewußten Emotionen oder bewußten Empfindungen begleitet. Bewußt werden uns Atmosphären dann, wenn wir sie mit Begriffen sichern können.
Atmosphären sind komplexe Ganzheiten, die aus einer Vielzahl von einzelnen Wahrnehmungsmustern bestehen. Alles in unserer natürlichen oder gebauten Umwelt können solche Muster sein: Bäume ebenso wie Wälder, Wolken, Häuser, Dächer, Städte, Eingänge, Treppen, Werbeelemente, Kleider, Fahrzeuge … So betrachtet arbeitet das menschliche Gehirn wie ein »Muster-Erkennungssystem«. Mit »Farbatmosphären gestalten« beschreiben wir einen Gestaltungsprozess, der das »Muster-Erkennungssystem« der menschlichen Wahrnehmung aktiv für stimmige Raumkompositionen heranzieht. Das Wort Farbe ist hier deshalb von Bedeutung, da alle Sinnesreize letztlich Licht und Farbe sind, auch wenn wir von Kontrasten, Materialien oder Oberflächen sprechen.
Der Beginn des Gestaltungsprozesses im Workshop
Zu Beginn dieses konkreten Workshops bestand die Frage: Wie bunt bzw. unbunt erscheinen uns die »Farben der Natur« – am Ende des Winters, noch bevor die Pflanzen Saft ziehen und Knospen und Blätter treiben? Zuvor waren zahlreiche Dinge aus der Natur zusammengetragen worden – eine kleine Sammlung pflanzlicher Überbleibsel vorangegangener Wachstumsperioden. Diese Sammlung wurde in einem ersten Schritt sorgfältig mit Acrlylfarben nachgemischt. Wichtig dabei war, die repräsentativen Farben der Dinge so exakt wie möglich festzuhalten.
Die Zusammenschau der Farbtöne zeigte anschaulich, daß die Farben der Natur am Ende des Winters eng an der Grauachse des des Farbraums angesiedelt sind. Die Bandbreite der Unbunt-Nuancen reicht von »kühlen« bis zu »warmen« Farbtönen, von Türkis bis Grün, von Grau bis Braun und Gelb. Lediglich blaue, violette und rote Farben sind nicht zu entdecken.
Die Benennung der Atmosphäre
Für welche Farbatmosphäre könnte nun diese Farbigkeit des Vorfrühlings stehen und wie könnte man diese benennen? die erste Idee: niedrige Temperaturen, lichtarme Tages- und Jahreszeiten mit dementsprechend kurzen Vegetationszeiten prägen die Landschaften im Norden Europas. Dafür steht der »Skandinavische Wohnstil«. Es könnte auch die Philosophie des ZEN Pate einer Farbatmosphäre sein. Auch im ZEN dominieren unbunte Farbtöne. Kandidat für eine Farbatmosphäre wäre ebenso das Neue Bauen, die Moderne, die heute meist als »International Style« verstanden wird. Beim Abwägen dieser drei Möglichkeiten wurde deutlich, daß der Skandinavische Wohnstil für unseren Kulturraum und ebenso für die fokussierte Zielgruppe am besten geeignet ist. Nach dieser gedanklichen Arbeit machten wir uns an eine ganztägige Exkursion zu ausgesuchten Einrichtungshäusern in Frankfurt am Main. Hier galt es, geeignete Produkte (Möbel, Leuchten, Teppiche, Acessoires), Farben und Materialien bzw. Strukturen zu finden, die sich für eine vorhandene, neu zu gestaltende Wohnung im Sinne des Skandinavischen Wohnstils eignen.
Vom Symbolmilieu zum Geschäftsmodell
Die Übertragung natürlicher Farbmilieus in gebaute Räume erfordert Anpassungen. Die anwendbaren Farben und Materialien des Skandinavischen Wohnstils sollten nicht nur unbunt, sie müssen auch hell sein. Gleichzeitig dürfen im besten Fall nur »ehrliche« Materialien verwendet werden, vor dem Hintergrund eines meist schlichten, auf das Wesentliche reduzierte Wohnens. In Frage kommen demnach vor allem naturnahe bzw. naturbelassene Materialien wie Wolle, helle Hölzer und Textilien, wie man sie mit einfachen Werkzeugen handwerklich herstellen könnte. Auch bei der Auswahl von Leuchten, Accessoires und Dekorationen sind schlichte Dinge gefragt: Vasen aus Glas oder Keramik, Lampenschirme aus Metall oder Papier, in der Natur auffindbare Äste und Zweige. Wichtig ist die Abgrenzung zum Internationalen Stil, der weitaus nobler »teurer« daherkommt und meist durch industriell gefertigte Möbel und Objekte besticht. Man sollte auch die Abgrenzung zum ZEN-Style bedenken; dieser ist nochmals reduzierter, hat andere Raumelemente wie Shoshi-Wände, Tatami-Matten und generell andere Sitzgelegenheiten und Möblierungen. Zu bedenken sind auch mögliche Bildwerke, die auch für den Skandinavischen Wohnstil typisch sind.
Roland Aull