Post Occupancy Evaluation (POE)
Werkzeuge zur Ermittlung von Nutzerbedürfnissen
Will man mit den Nutzern gestalten, muss man unbedingt ihre Wünsche und Bedürfnisse kennen. Man könnte sie einfach danach fragen, aber häufig können sie diese selbst nicht so richtig formulieren. Das ist natürlich besonders bei kleinen Kindern, alten und dementen Menschen, auch bei behinderten oder kranken Personen der Fall.
Mit dem Begriff P(ost) O(ccupancy) E(valuation) fassen wir zusammen, was die Wissenschaft zum Thema Bewertung eines Gebäudes oder die Qualität eines Raums aus Nutzersicht herausgefunden hat. Wir nutzen allerdings auch unsere eigenen Methoden, die in der Praxis des Gestalters leicht anzuwenden und gleichzeitig besonders aussagekräftig sind.
1. Raumeroberung
Unsere visuelle Wahrnehmung ist phantastisch; in jeder Sekunde können wir Millionen an sensorischen Reizen aufnehmen, aber nicht alles bewußt verarbeiten. Um sich vor einem Zuviel zu schützen, filtert unser Wahrnehmungssystem die allermeisten Informationen aus … nur das Wenigste dringt in unser Wachbewußtsein. Was wir bewußt wahrnehmen, wird von unseren Bedürfnissen, Wünschen und Interessen gesteuert, die den Fokus unserer Aufmerksamkeit lenken.
Bei der Raumeroberung (den Begriff haben wir aus der Kindergartenpädagogik entlehnt) nutzen wir unsere selektive Wahrnehmung, um ohne (emotionale) Wertungen nacheinander einzelne Dinge im Raum zu erfassen. Mit einfachen Worten werden die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften der Objekte charakterisiert. Das betrifft dann nicht nur Böden, Wände und Decken, sondern auch die Beleuchtungen, Materialien, Düfte, Farben, Oberflächen, Einbauten, Dekorationen, Pflanzen, Accessoires, Werbemittel, Waren – und nicht zuletzt: das Verhalten der Menschen im Raum.
Erst nachdem man diese selektiven Wahrnehmungsvorgänge vollzogen hat, kann man behaupten, einen Raum »gelesen« und damit auch »verstanden« zu haben. Man muß kein Fachmann sein, um eine Raumeroberung mit dem gewünschten Ergebnis durchführen zu können. Für Anfänger ist es jedoch hilfreich, sich mit dieser Methode zunächst gründlich vertraut zu machen und spätere Raumeroberungen auch zusammen mit den Entscheidern zu absolvieren.
Eine Raumeroberung verdeutlicht allen, die daran teilgenommen haben, welche Qualitäten, aber auch welche Defizite ein Raum hat. Dadurch werden Beratungsgespräche mit Auftraggebern und Nutzern sehr viel einfacher, da die »Fakten« für alle transparent und verständlich sind.
2. Semantisches Differential
Das Semantische Differential ist ein Fragebogen zum Ankreuzen. Dabei stehen sich Begriffspaare gegenüber, jeweils verbunden durch einer Skala von -2 bis Null und von Null bis +2. Die 25 Begriffspaare repräsentieren subjektive emotionale Wertungen zur Wirkung eines Raums auf eine konkrete Person. Die Aussagekraft entsteht durch eine grafische Auswertung, bei der 10 bis 20 Fragebögen statistisch ausgewertet werden. Der daraus ablesbare Ist-Zustand kann (nach einer Umgestaltung) auf die gleiche Weise wiederholt werden, wodurch sich die erreichten Verbesserungen gut überprüfen lassen.
Das Semantische Differential ist ein wertvolles Instrument, da emotiionale Wertungen immer individuell sind und daher (im Vergleich) erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Personen auftreten können. Emotionen werden allgemein als biologisch bzw. genetisch festgelegte Reaktionen verstanden. Zwar werden Emotionen durch Begriffe benannt, die eine bestimmte Bedeutung (Semantik) haben, doch die dazugehörigen körperlichen oder seelischen Reaktionen können bei jedem Menschen anders sein – obwohl identische Begriffe verwendet werden. Das Semantische Differential ist in der Lage, diese sprachlichen Ungenauigkeiten aufzulösen und die Wirkung des Raums bei einer Nutzergruppe transparent zu machen.
3. Resonanz-Farbtest
Der Resonanz-Farbtest ist ein objektives projektives Verfahren, das die individuelle Wirkung der Farben bzw. das subjektive Farberleben einer Person dokumentiert. Die Testergebnisse liefern eine solide Grundlage für Farbgestaltungen, vor allem dann, wenn Einzelpersonen oder Gruppen Räume für längere Zeit nutzen. Der Test wurde entwickelt, um die Beliebigkeit der Farbgebung (»Farbe ist eine Frage des Geschmacks«) zu überwinden.
Der Resonanz-Farbtest beantwortet damit auch einige bislang ungeklärte Fragen, die für Farbgestalter in der Praxis häufig ein Problem darstellen: die Objektivität und die Subjektivität der Farbe. Der Zugang zum Phänomen der Farbwirklichkeit ist:
Tatsache 1
Farbe ist objektiv, denn eine identische Farbe wird von allen Menschen »sensorisch« gleich gesehen, sofern man keine Einschränkungen der Sehfähigkeit hat (Farbenfehlsichtigkeiten).
Tatsache 2
Farbe wird, nachdem sie durch das Auge aufgenommen wurde, individuell »bewertet«. Diese Bewertung ist fast immer emotional und davon abhängig, wie wir im Lauf unseres Lebens bestimmte Farbtöne erlebt haben.
Tatsache 3
Eine allgemein gültige Farbwirkung kann es (neben den oben genannten individuellen Faktoren) schon allein deshalb nicht geben, da die Wirklichkeit der Farbe immer vom Kontext abhängig ist, in dem sie erscheint.
Eine Testaufnahme dauert etwa 20 Minuten. Sie besteht aus der subjektiven emotionalen Bewertung von 27 mehrfach kalibrierten Farbtönen auf einer Aufsichtsvorlage, einem Fragebogen zum Ankreuzen sowie einer Auswertungssoftware. Der Test nutzt die Fähigkeit des Menschen, die farbige Umwelt und den individuellen Organismus mittels Resonanzkopplung zu synchronisieren.
Roland Aull